Du hast nicht gefragt, wie ein Regenbogen vom Himmel auf die Straße kommt.
Es war schön mit dir.
Schön einfach.
Schon beim Aufwachen wusste ich, dass du da bist und dich von den warmen,
hellen Sonnenstrahlen, die zwischen den Vorhängen ins dunkle Zimmer tanzten, in
der Nase kitzeln ließest. Die Bettdecke bis unters Kinn gezogen lagst du da,
verschlafen, aber mit dieser enormen Vorfreude auf den Tag. Ein Frühaufsteher
warst du nicht gerade, trotzdem wurde der neue, verheißungsvolle Tag gebührend
begrüßt und genutzt. Du bist immer mit beiden Beinen gleichzeitig aufgestanden,
daran kann ich mich noch erinnern. Denn, wenn man mit beiden Beinen aufsteht,
kann man es ja gar nicht mit dem falschen tun, lautete deine Devise. Du bist
immer mit beiden Beinen gleichzeitig aufgestanden, dein Pyjamatop war
verrutscht und hing neckisch auf Bauchnabelhöhe. Zum Richten blieb keine Zeit,
die Vorhänge energisch zur Seite gezogen standest du vor dem Fenster, dein
Strahlen machte dem der Sonne ehrliche Konkurrenz. Fenster aufgerissen, die
frische Luft eingeatmet, für ein, zwei Sekunden nur geatmet. Die Augen
geschlossen nahmst du ihn in dir auf, den taufrischen Morgen, das leise
Zwitschern der Vögel. Die Vorfreude auf die Erlebnisse und Eindrücke, keine
Zeit für Schuhe oder Jacke anziehen, das Abenteuer wartet!. Das tägliche
Abenteuer, das vor der Türe steht, aber nicht anklopft, weil es gefunden werden
will. Eine Katzenwäsche im Bad, das musste reichen. Du bist die Treppenstufen
hinuntergehüpft, einfach, weil es Spaß machte. Hast den Frühstückstisch
gedeckt, deine Eltern geweckt, damit ihr zusammen in den Tag starten könnt. Bei
warmem Kakao und Rühreiern mit Speck hast du sie gefühlt, die Freude, auch ganz
unten im kleinen Zeh. Alles war warm, schön und leicht.
Wo du warst, ist jetzt ein leerer
Platz in meinem Bett. Schon beim Aufwachen merke ich, dass ich alleine
aufgewacht bin. Mal wieder. Ich sehe es nicht, weil die Rollläden vor dem
schmutzigen Fenster unten sind, kein Licht hineinlassen. Aber ich spüre es und
das fühlt sich schlimm genug an. Jetzt liege ich da, zusammengekauert, unter
der Decke verschanzt. Bin verschlafen, obwohl der Schlaf mich letzte Nacht
nicht übermannte. So wie die hundert anderen Nächte davor auch. Todmüde trifft
es also besser. Aus mir ist ein Frühaufsteher geworden, je länger ich im Bett
liege, desto mehr denke ich nach. Über mich, über dich, uns und die Welt. Es
ist mir egal, mit welchem Bein ich aufstehe, oder ob ich mich überhaupt erheben
kann. Mein übergroßes Schlafshirt hängt unförmig an mir herab, so muss ich mich
nicht sehen, nicht spüren. Der Rollladen bleibt unten, meine Mundwinkel tun es
ihm gleich. Ich stehe im Badezimmer, sehne mich nach einer heißen Dusche. Mache
laute, fröhliche Musik an, während ich mir die Zähne putze. Singe mit, tanze
auf der Stelle. Ich sehe dich im Spiegel. Nach einer Weile vermischt sich die
Zahnpasta in meinem Mund mit meinen salzigen Tränen. Ich kann nicht sagen woher
sie kommen, doch sie sind da, es werden immer mehr. Jetzt ist da nur noch mein
Spiegelbild. Ich höre auf zu weinen.
Es war immer Sommer mit dir. Wir
mussten raus, an die frische Luft, atmen, schreien, rennen. Der elterliche
Wunsch, sich doch bitte warm genug anzuziehen, wurde im Eifer des Gefechts
geflissentlich überhört – bei so viel Bewegung wird es einem ja schnell warm!
Du hast deinen Roller aus der Garage geholt, dein Einrad, deine Inline-Skates,
das Springseil, die Sandkastenförmchen. Du hast in deiner Gedankenschublade
gekramt. Bunte, wilde, laute Gedanken. Was zuerst? Ein Lager bauen? Reiterhof
spielen? Regenwürmer sammeln? Am besten alles gleichzeitig, die Zeit rennt! Du
bist barfuß über die große Wiese vor dem Haus gelaufen, sehr bedacht darauf, ja
kein Gänseblümchen, ja kein Käferchen zu Schaden kommen zu lassen. Du bist
barfuß über die Straße gerannt, der warme Asphalt kratzte rau an deiner
schmutzigen, kleinen Fußsohle. Kleine Kieselsteine bohrten sich in deine weiche,
zarte Haut. Und trotzdem hast du gelacht, so sehr gelacht, dass der Bauch dir
davon wehtat.
Bist wie angewurzelt stehengeblieben, als du die kleine Pfütze
aus Öl auf dem dunklen Teer entdeckt hast. Schau, da ist ein Regenbogen!, hast
du gerufen, voller Erstaunen, voller Begeisterung. Standest fasziniert davor, mit
angehaltenem Atem, mit leuchtenden Augen. Du hast nicht gefragt, wie ein Regenbogen
vom Himmel auf die Straße kommt. Du standest da und hast den Augenblick auf
dich wirken lassen. Das kleine Wunder war Antwort genug. Ein Regenbogen entsteht dann, wenn es regnet und die Sonne scheint.
Und langsam fing es an zu regnen. Dicke, schwere Tropfen auf kleinen, leichten
Köpfen, den strubbeligen, ungekämmten Haaren. Du hast erst den Himmel
angestarrt, dann dich. Deine kleinen Zehen waren mit winzigen Tröpfchen
übersäht, ein Regentropfen klatschte dir mitten auf die Stirn, rann dein Nasenbein,
deine rote Backe hinab, mit der Zunge hast du ihn blitzschnell gestoppt, hast
den warmen Sommerregen geschmeckt. Raus aus den Klamotten – Regentanz in der
Unterhose. Hast nach deiner Mama gerufen, sie solle sofort herkommen. Sie kam
sofort. Ob was passiert sei, wollte sie wissen. Nein, aber mitmachen musste sie.
Sofort. Ihre Kleidung durfte sie anbehalten. Trotzdem stand sie dann in Jeans
und Unterhemd da. So mache es doch viel mehr Spaß, meinte sie zwinkernd. Und so
tanzten wir. Mitten auf der Straße. Im Regen. Mit dem Regen. Den Kopf in den
Nacken gelegt, bis es unangenehm wurde. Die Zunge rausgestreckt, Regentropfen
aufgefangen. Nichts schmeckt besser als Sommerregen und das Gefühl der
Unendlichkeit. Das Gefühl, die Zeit hinter sich gelassen zu haben.
Es ist Winter, die Tage vergehen
langsam, unendlich langsam. Ich sitze in der Schule, später im Büro, im Auto –
es macht keinen Unterschied für mich. Ich will raus an die frische Luft,
schreien, weinen. Ich will die Zeit zurückdrehen, will wieder ein Kind sein,
will dich, den regenbogenbunten Teil von mir, zurückhaben, mein altes, junges
Ich. Ich erinnere mich an dich, aber du bist fort. Vielleicht kommst du ja
irgendwann einmal zurück?
Ein Regenbogen entsteht dann, wenn es
regnet und die Sonne scheint.
Ich warte auf den Regenbogen, doch die Sonne versteckt sich.
Irgendwo hinter den Wolken, irgendwo in mir.
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